Dicht gedrängt feierten zuletzt in den Hamburger Szenevierteln die Menschen auf den Straßen bis tief in die Nacht. Abstand und Coronavirus schienen vergessen. Die Politik reagierte: An diesem Wochenende darf dort im öffentlichen Raum außerhalb der Gastronomie zwischen 20 und 6 Uhr kein Alkohol mehr verkauft werden. Es ist ein mehrstufiges Experiment. Wenn das Verkaufsverbot nichts bringt, kann in der nächsten Stufe ein Konsumverbot verhängt werden.
Die Maßnahme ist sehr umstritten – nicht nur rechtlich. Kritiker befürchten, dass die feiernden Menschen einfach nur ein paar Straßen weiterziehen, wo das Verbot nicht mehr gilt. Dort könnten sie dann ungestört weiter trinken und eng zusammenstehen. Doch die Erfahrungen aus anderen Städten zeigen, dass das Verbot ein geeignetes Mittel sein kann, auch wenn die Fälle schwer vergleichbar sind.
Hohe rechtliche Hürden
In der Vergangenheit waren Alkoholverbote oft erlassen worden, um Krawalle zu unterbinden. Meist wurden sie von Gerichten kassiert, wie in Freiburg, Erfurt oder Marburg. Denn die rechtlichen Hürden sind sehr hoch. Das gilt weniger für den Verkauf als vielmehr für den Konsum von Alkohol. Denn der ist als “allgemeine Handlungsfreiheit” grundgesetzlich geschützt. Eingriffe müssen besonders gerechtfertigt sein.
“Die Rechtsprechung ist da gnadenlos. Wir müssen nachweisen, dass Menschen durch Alkohol Ordnungswidrigkeiten oder Straftatbestände begehen. Es ist in der Regel sehr schwer, das gerichtsfest nachzuweisen”, erklärt der Frankfurter Sicherheitsdezernent Markus Frank gegenüber tagesschau.de. Er hat vergangene Woche nach den jüngsten Ausschreitungen am Opernplatz daher “nur” ein Betretungsverbot ab Mitternacht erlassen.
In Frankfurt verteilten sich die Feiernden
“Wir sind sehr zufrieden damit”, sagt Frank. Wichtig sei eine sichtbare Polizeipräsenz mit zahlreichen Personenkontrollen gewesen. Allein schon die Ankündigung hätte einen Effekt gehabt: “Viele haben sich an anderen Plätzen getroffen.” Als die Polizei ab ein Uhr nachts den Platz räumte, hätten sich die Menschen auf das Stadtgebiet verteilt, seien also nicht geschlossen weitergezogen, so ein Polizeisprecher.
Wie sinnvoll aus wissenschaftlicher Sicht ein Alkoholverbot bei der Bekämpfung des Coronavirus ist, ist “eine ganz schwierige Frage, die ich als Virologe eigentlich gar nicht beantworten kann, weil es am Ende eine politische Entscheidung ist”, sagt der Dresdner Virologe Alexander Dalpke im Gespräch mit tagesschau.de. Abstand halten, soziale Kontakte reduzieren und Maske tragen seien weiterhin die besten Maßnahmen, um die Ausbreitung zu verhindern.
Virologe glaubt an den Erfolg
“Auf der anderen Seite macht ein soziales Miteinander einen wesentlichen Teil unserer Gesellschaft aus”, so Dalpke. Man könne den Wunsch, wieder Freunde zu treffen und zu feiern, nicht dauerhaft verbieten. “Ich glaube, dass eine Reduktion des Alkoholausschanks hilfreich sein kann, um die Leute daran zu erinnern, dass bestimmte Maßnahmen noch immer empfohlen werden und dass es dann leichter ist, sich an die noch geltende Allgemeinverfügung zu halten.
“Die zuletzt wieder angestiegenen Infektionszahlen rechtfertigen ein Alkoholverbot, meint Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds. Feiernde Menschenansammlungen seien in Corona-Zeiten nicht zu akzeptieren. “Wir haben beim Lockdown sehr scharf kontrolliert. Da durften nicht mehr als zwei Leute zusammen sein oder die mussten aus einer Familie sein.”
Landsberg warnt vor zweiter Welle
Es sei wichtig, die Regeln durchzusetzen, sagt Landsberg gegenüber tagesschau.de. “Sonst bekommen wir eine zweite Welle, die wir vielleicht sogar schon haben. Wir müssen alles tun, um das zu vermeiden, denn ein flächendeckender Lockdown wäre für das Land und die Menschen verheerend.
“In Hamburg ist an diesem Wochenende in Teilen von St. Pauli und Altona ab 20 Uhr der Außer-Haus-Verkauf alkoholischer Getränke für Kioske, Gastronomie-Betriebe und den Einzelhandel verboten. Das auf dem Kiez und im Schanzenviertel beliebte sogenannte “Cornern” – das gemütliche Beisammenstehen auf dem Gehsteig mit einem Bier in der Hand – soll so unterbunden werden.
Experiment soll ausgewertet werden
Das sei ein enormer Eingriff in das Leben der Hamburgerinnen und Hamburger, sagte der Leiter des Bezirksamtes Mitte, Falko Droßmann. “Das wollen wir nicht, und es passt uns nicht, aber wir sind dazu gezwungen.” Die neue Verordnung gilt vorerst nur für das kommende Wochenende. Anschließend wollen die Bezirke und der Senat die Ergebnisse auswerten und dann weiter entscheiden. Als Verschärfung sind ein noch früheres Alkoholverkaufsverbot, etwa ab 18 Uhr, und auch ein Konsumverbot angedroht.
Landsberg ist nach den Erfahrungen anderer Städte in der Vergangenheit überzeugt, dass die Maßnahme greifen wird. “Das verhindert natürlich nicht den Alkoholkonsum des Einzelnen – der geht dann in den Park und trinkt dort sein Bier.” Aber die Zusammenballung an einem bestimmten Platz könne so verhindert werden – “wenn schon beim Zugang kontrolliert wird”.
Andere Städte blicken nach Hamburg
Das Hamburger Experiment wird aufmerksam von anderen Kommunen beobachtet, glaubt Frankfurts Sicherheitsdezernent Frank: “Wenn Städte Alkoholverbote verhängen, schauen wir uns das grundsätzlich an.” Mit Blick auf die vielen Gerichtsurteile, die solche Verbote immer wieder gekippt haben, sagt er: “Wir würden uns freuen, wenn Kommunen in schwierigen Situationen ein Alkoholverbot einfacher verhängen könnten.”
Quelle: Tagesschau, 31.07.2020, hier.