Falko Droßmann
Mitglied des Deutschen Bundestages

MOPO Hamburg: Hamburg und die AfD – „Uns droht ein böses Erwachen“

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Hamburg – Die AfD eilt bundesweit von Umfragerekord zu Rekord, die SPD stürzt ab. Was das eine mit dem anderen zu tun hat, warum uns auch in Hamburg eine böse Überraschung droht und wie die soziale Spaltung der Stadt damit zusammenhängt, erklärt Mitte-Bezirkschef Falko Droßmann (SPD) im Interview.

MOPO: Herr Droßmann, die AfD liegt in Umfragen bundesweit gleichauf mit der SPD oder überholt sie gar. In Hamburg dagegen spielt die AfD nur eine marginale Rolle. Sie sorgen sich, dass es dabei nicht bleibt?

Falko Droßmann: Ich fürchte, dass wir in einigen armen Stadtteilen bei der nächsten Wahl ein böses Erwachen erleben könnten.


Warum?

In den Stadtteilen mit niedrigem sozialem Status haben wir auch die niedrigste Wahlbeteiligung. Bei der Europawahl etwa deutlich unter 30, teils nahe 20 Prozent. Dort wird es der AfD leichter fallen, hohe Wahlergebnisse einzufahren. Denn sie kann ihre Anhänger leicht mobilisieren mit einfachen Parolen, viel leichter als andere Parteien.


Woran liegt das?

Politik wird immer komplexer, wird immer mehr zu einem Ringen um Kompromisse. Die Parolen der AfD gelten da schnell als attraktiv, obwohl sie das in Wirklichkeit nicht sind.


Das erinnert an die Erfolge von Ronald Schill, der auch in den ärmeren, sozialdemokratisch geprägten Stadtteilen triumphierte.

Ja, aber das war damals kein Trend, sondern eine Eintagsfliege. Jetzt haben wir einen Trend. Ich bin fast jeden Tag im Hamburger Osten unterwegs, spreche pausenlos mit den Menschen. Glauben Sie mir, die Bauernfänger sind in den armen Vierteln am erfolgreichsten. In den reichen Vierteln haben wir das Problem nicht so, schon allein wegen der hohen Wahlbeteiligung und der besseren Bildung.


Warum gelingt es der Sozialdemokratie nicht, beim Thema Migration eine überzeugende Antwort zu liefern?

Es liegt gar nicht an der Migration. Der Anteil der Migranten ist doch nirgends so hoch wie in Wilhelmsburg, Billstedt, Horn. Und viele haben das Wahlrecht. Das Problem ist, dass die Menschen nicht mehr zur Wahl gehen. Die Leute wissen nicht mehr, worum es geht. Wir erreichen sie nicht mehr mit unseren komplizierten Themen, den komplizierten Entscheidungswegen von der Landes- bis zur EU-Ebene.


Aber Schill hatte, genauso wie die AfD heute, vor allem Erfolg in Stadtteilen mit hohem Anteil an Migranten.

Schill hat einfache Antworten auf schwierige Fragen gegeben. Und es ist nicht so, dass Migranten die AfD nicht wählen oder mit ihr sympathisieren. Als es etwa darum ging, wo die Flüchtlinge untergebracht werden, waren es auch und gerade Migrantenfamilien, die gegen Standorte waren, und nicht nur wie oft vermutet Russlanddeutsche, sondern auch türkisch- und arabischstämmige Menschen. Am Ende haben wir in Hamburg-Mitte durch viele Gespräche die Sorgen ausräumen können.


Es war mal Markenzeichen der SPD, mit klaren Ansagen die „einfachen Leute“ zu überzeugen. Ist die Welt zu kompliziert geworden für die SPD?

Das System ist zu kompliziert geworden. Wir müssen unsere Antworten auf die Probleme wieder klar und einfach darstellen. Nehmen Sie den Brief von Andrea Nahles, in dem sie den Mitgliedern die Versetzung von Hans-Georg Maaßen erklärt hat. Das war so komplex, das hat kaum jemand mehr verstanden. Wir müssen die Probleme deutlich weniger akademisiert angehen.


Das klingt nach Populismus?

Nein, die SPD hat die Antworten auf die drängendsten gesellschaftlichen Fragen. Es geht darum, die Sprache der Leute zu sprechen. Und deutlich zu machen, was wir machen. Es weiß doch niemand genau, wo jetzt der Bezirk agiert, wo die Stadt, wo der Bund – wer für was verantwortlich ist. Aber viel wichtiger ist, das Leben in den armen Stadtteilen wirklich nachhaltig zu verbessern. Wir wissen durch das Sozialmonitoring jetzt schon, welche Viertel in einigen Jahren schlechter dastehen als heute. Häufig sind das die jüngsten Stadtteile Hamburgs. In meinem Bezirk haben über 70 Prozent der unter 18-Jährigen einen Migrationshintergrund, ein großer Teil ist vom Staat abhängig, beinahe die Hälfte lebt in einem Alleinerziehenden-Haushalt. Wenn wir uns nicht um unsere ärmeren Stadtteile deutlich mehr kümmern, wird es Wahlergebnisse geben, die wir nicht wollen. Und dazu gehört auch, deutlich stärker Ressourcen umzuschichten.


Das Thema soziale Spaltung spielt aber auf Landesebene kaum eine Rolle bei der SPD.

Es ist meine Aufgabe als Leiter des ärmsten Bezirks, die Partei immer wieder daran zu erinnern. Und wir tun ja auch viel, etwa die Sanierung des Billstedter Zentrums, in Mümmelmannsberg, Wilhelmsburg. Aber wenn wir da die Bürger beteiligen, mitnehmen wollen, kommen oft nur dieselben Menschen. Und wir müssen als Stadt ressortübergreifender denken: Jede Behörde hat gute Strategien, aber wir müssen genauer schauen, was vor Ort ankommt.


Was hat das mit dem Erfolg der AfD zu tun?

Die AfD beschreibt nur Symptome und dramatisiert an vielen Stellen. Entscheidend ist aber, dass sie die Menschen immer gegen etwas oder gegen andere aufbringt. Denn das ist viel einfacher, als die Leute mitzunehmen und für unsere Stadt und unsere Nachbarschaften zu begeistern, wie wir es tun. Die AfD ist eine Partei der Spaltung, die SPD die des sozialen Zusammenhalts.

Quelle: Mopo Hamburg, 01.10.2018, hier.

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