Bezirksamtsleiter Falko Droßmann kommt mit der exakt richtigen Verspätung für einen guten Auftritt. Gemeinsam mit Innensenator Grote soll er bekannt geben, dass der Hansaplatz wieder videoüberwacht wird, es ist das, was man im Politjargon einen heiklen Termin nennt, und bei Grote und Droßmann heißt es Bürgergespräch. Das ist aber nicht ganz die Wahrheit, weil schon alles beschlossen wurde und ein Gespräch mit dem Bürger nur noch über vollendete Tatsachen erfolgen kann, was der Bürger, angetreten mit Fragen und Flugblättern, noch nicht weiß.
Innensenator Grote steht schon seit geraumer Zeit in der Aula einer Schule in St. Georg, in die geladen wurde, und fragt sich wohl, warum er nicht selbst die gute Idee hatte, zu spät zu kommen. Droßmann federt über den Schulhof, er blickt noch mal in den Himmel, ob es bald Regen gibt oder vielleicht auch, ob sein Gott mit ihm ist, er ist doch gläubiger Protestant. Dann knipst er auf der Schwelle sein Droßmannlächeln an und ist nun endlich da, also hier, in seinem Bezirk, und in seinem Element sowieso. Bei Grote aber ist er immer noch nicht, weil: Heimspiel, erst die Fans begrüßen, die für einen Moment vergessen, dass sie ja eigentlich empört sein wollten. Ach, Herr Droßmann, schön! Das ist jetzt der altbekannte, aber trotzdem nicht alt wirkende Droßmann: das Zuhören und Reden mit dem ganzen Körper, übergebeugt wie ein Boxer, Kopf geneigt. Wieso rufst du nicht an? Einfach anrufen. Sagt er allen, die an ihn herantreten, samt heiliger Dreifaltigkeit der Lokalpolitik: Ich kümmere mich drum, ich komme darauf zurück und, na klar, wir sind da dran.
Als sich Droßmann um und durch die Reihen gekümmert und Platz bei Grote gefunden hat, schaut der Innensenator, als hätte er den Amtsleiter, der sein Nachfolger in ebendiesem Amt ist, von der Polizei unter Gewaltanwendung holen lassen. Kann losgehen, brummt Grote. Und Droßmann hält eine Rede, in der er es paradoxerweise bewältigt, Schelm zu sein und zugleich Hardliner: “Wir können nicht zulassen, dass Anwohner am Hansaplatz Angst haben, vor die Tür zu gehen, und deshalb wollen wir, deshalb wollen wir … ja, was wir wollen, das steht auf dem nächsten Zettel, ein Moment, meine Damen und Herren.” Schallendes Gelächter, das ist Droßmann, so kriegt er sie alle, trotz Problemschwere. Danach kriegt Grote das Mikrofon – und die wütenden Bürgerfragen auch. Guter Termin also für Droßmann, bei dem er der war, den viele in ihm sehen: Hoffnungsträger der SPD, locker und doch Profi, also für Höheres berufen. Senator, sagen einige. Bürgermeister, manche.
Bezirksamtsleiter sind kleine Bürgermeister, und unter den kleinen Bürgermeistern ist er der größte, was an seinem Bezirk liegt, aber noch mehr an ihm selbst. In Mitte sei Hamburg Weltstadt, hat er gesagt, und müsste also, seiner Definition folgend, Weltstadtbürgermeister sein. Könnte er? Dürfte er? Und will er denn? Das wird zu klären sein, aber erst begleitet man ihn nach Mümmelmannsberg.
In Mümmelmannsberg ist Hamburg eher nicht Weltstadt, das Viertel gehört aber zum Bezirk Mitte, und alle, die da wohnen, sollen sich zugehörig fühlen, deshalb fährt er häufig hin. In Billstedt hat Droßmann gewohnt, an der Bille hat er seinen Kleingarten, in Horn seine Kirchengemeinde, das ist bekannt. Ebenso, dass er mittlerweile in die HafenCity gezogen ist, was regelmäßige Besuche in sozial schwächeren Vierteln nur zwingender macht, aus Glaubwürdigkeitsgründen. Übrigens, wer einen Mann nachts in der Einsamkeit der Marco-Polo-Terrassen rauchen sieht, möge ihn mal auf Kita-Bau und Sozialraumplanung ansprechen. Denn der Mann ist Falko Droßmann. Seine Wohnung ist balkonfrei, drinnen darf er nicht qualmen.
Im Februar 2016 wurde dieser Droßmann Amtsleiter in Mitte, mit rot-grüner Mehrheit der Bezirksversammlung und gegen die Proteste der anderen Parteien, weil die rot-grüne Mehrheit keine Gegenkandidaten zuließ. Er war vorher SPD-Fraktionschef im Bezirk, davor Sprecher für Verkehr, Umwelt und Jugendhilfe in der Bezirksversammlung, war Mitglied im Jugendhilfeausschuss, Bürgerausschuss, Ortsausschuss. Er hat sich emporgekämpft bis in die zehnte Etage an der Caffamacherreihe. Und von dort oben wiederum hat er ein paar Entscheidungen getroffen, die ihm unten den Ruf eines Machers eintrugen.
Droßmann untersagte die Wahlkampfauftritte des türkischen Außenministers in Wilhelmsburg, er ließ ein leer stehendes Haus mit dem Wohnungsschutzgesetz enteignen und am Hauptbahnhof ein neues Reinigungskonzept etablieren. Er hat den Obdachlosenweckdienst in der City installiert und den Fußgängerzonensalafisten verboten, Korane zu verschenken. Er kann das gut parallel, Softie nach innen und Sheriff nach außen, oder umgekehrt, je nach Notwendigkeit. Ihm am wichtigsten aber sei das Soziale, sagt er, sagen alle. Droßmann hat sich noch für jede schließungsbedrohte Seniorenkantine und Begegnungsstätte eingesetzt. Er weiß, welche Ideen im Bezirk wirken und welche stadtweit für Furore sorgen. Er vermittelt bei Großevents zwischen Veranstaltern und Anwohnern, er rettet die Alstertanne im Alleingang. Oder lässt es jedenfalls so wirken. Ist am Ende ja nicht mehr unterscheidbar beziehungsweise, wen interessiert das dann noch?
Nicht nur reden, sondern machen, das ist seine Devise. Vor allem aber machen, was man redet. Und dann noch, letzte Variante: erst mal machen, später reden. Droßmann hasst die Bedenkenträgerei der Verwaltung, als ihr Gegner gefällt er sich.
Verwerfungen überstand er bisher schadlos
Wer in die neue Bezirksversammlung horcht, die sich gerade erst unter Getöse konstituiert hat, hört erstaunlich Lobendes. Viel für den Bezirk geleistet, heißt es von der lobunverdächtigen FDP, er gehe Probleme ideologiefrei an. Erst als die Nettigkeiten adressiert sind, beklagen die Fraktionen: die Entpolitisierung der Bezirksversammlung, im Anpackenden des Amtsleiters begründet, der lieber entscheidet, als mitentscheiden zu lassen, lieber macht als fragt. “Wir wollen ihn nicht nur nachträglich kontrollieren oder legitimieren, wir wollen mitgestalten”, klagt einer. Droßmann habe zu viel Nähe zur Bild-Zeitung, sagt ein anderer, er lanciere Storys gezielt, auch um Leute, mit denen er nicht kann, unmöglich zu machen. Politik mache er nicht für Mitte, sondern für die SPD-Klientel, geltungsbedürftig sei er, mit riesigem Ego. Ende der Anklage.
Das muss man sacken lassen. Zeit dafür ist, hier in der Tiefgarage des Bezirksamts, denn der Fahrer – ja, wo ist denn der Fahrer? Fragt sich Droßmann, fragt er seinen Praktikanten, der aber schweigt. Endlich mal sieht man den Hoffnungsträger zornig, sein Handy hat keinen Empfang, da entdeckt er ein achtzigerjahrebeiges Wandtelefon, seine Sekretärin will er anrufen, weil der Fahrer fehlt, aber auch das Telefon ist tot. “Funktioniert denn hier gar nichts?”, schreit Droßmann, was einer Komik nicht mehr entbehrt, schließlich ist das doch sein Laden. Gemütlich schlendert der Fahrer heran. Wo waren Sie?, herrscht Droßmann ihn an, auf Klo, sagt der Fahrer, ich dachte… Aber Droßmann will nicht hören, was der Fahrer dachte, er will losloslos, fahren Sie, befiehlt er, Eröffnung des Sozialkontors, einer Begegnungsstätte, wo Menschen auch bei Anträgen geholfen wird.
Selbst Droßmann gelingt nicht alles, aber Verwerfungen überstand er bisher schadlos. Er kam ins Amt, als publik wurde, wie ein Mitarbeiter des Jugendamts Hunderttausende Euro veruntreut hatte, und verwies rege darauf, dass alles unter seinem Vorgänger passiert sei, installierte selbst aber ein Frühwarnsystem, sodass er als Problemlöser dastand. In seinem Bezirksamt schuf er eine interne Prüfgruppe, an die Mitarbeiter künftig Verdachtsmomente melden sollen. Er hat im Szeneviertelstreit ums Cornern keine Lösung erreicht, auch wenn er zwischendurch drohte, Kioske abzustrafen, die Billigalkohol ausschenken. Er sagt: “Ich bin nicht dafür zuständig, Gesetze zu machen, auch wenn das manche erwarten. Seit der Deregulierung hat das Bezirksamt keine Möglichkeit mehr, hier einzugreifen. Das kann ich dem Gesetzgeber nur spiegeln, und der muss entscheiden, ob der Zustand so bleiben soll.”
In Mümmelmannsberg sollen die Zustände nicht bleiben, wie sie sind, sie sollen sich bessern, also ist auch ein neues Sozialkontor wichtig. Droßmann eilt strammen Schrittes ins Plattenbauparterre. Aha, denkt man, so marschiert einer, der bei der Bundeswehr war, nein, ist, das Amt ruht nur. Oberstleutnant der Luftwaffe, was ihn auf den Bürokratieapparat vorbereitet haben dürfte. Erst 2001 trat er in die SPD ein, um sich gegen Rechtspopulisten wie Schill zu engagieren. Dienst am Schreibtisch jetzt, aber das Befehlende hat er sich bewahrt. “In der Verwaltung wird die Verantwortung auf viele verteilt, damit sie kein Einzelner übernehmen muss und am Ende schuld ist, wenn was nicht klappt. Das ärgert mich manchmal, das gibt es bei der Armee nicht. Ich gehe gerne voran”, sagt Droßmann. Sein Haus führt er zackig und stramm. Klar, dass so einer in der Bezirksversammlung aneckt, nicht nur bei pazifistischen Fundamentallinken.
Antreten im Sozialkontor, großes Hallo, kleine Rede. Nach elf Minuten ist Droßmann wieder raus, weil er am Tag zuvor zehn Meter weiter etwas eröffnet hat, und irgendwann wird es redundant. Wie viel kann man eröffnen, begrußworten, beschirmherren, ohne zu delirieren? Seine Popularität nährt sich auch aus seiner ständigen Präsenz, selbst bei aberwitzigen Anlässen, ohne dass er dabei jemals so wirkt, als sei ihm das lästig. Droßmann eröffnet Fahrradstraßen, Spielplätze, Toilettenhäuser und Lebkuchendörfer, denn jeder Termin eröffnet ihm die Chance, sich zu zeigen. Und wenn Leute ihn unterschätzen, noch besser, dann kommt er aus dem Windschatten des Klischees, aus dem Vorurteilsverdacht der anderen. Er verfügt über eine Anpassungsfähigkeit, wie sie in Mitte besonders nötig scheint, im Binnenspannungsverhältnis zwischen St. Pauli und der Veddel. Wenn das alles echt ist, ist es gut. Wenn das nicht echt ist, ist es gut inszeniert.
Droßmann eilt eine alte Betontreppe hinab, drei Männer stehen da wie Figuren aus einem Bertolt-Brecht-Stück, auf ihre Rollatoren gestützt und die Stütze zumindest teilweise in Schnaps investiert. Und wie er vorbeirauscht im slimfitten Anzug, der stets ein bisschen besser sitzt als die Anzüge anderer Politiker und diese aussehen lässt wie Staubsaugerverkäufer, ruft er: “Das wird neu, das wird alles neu.” In dem Moment weiß man tatsächlich nicht, was er meint, die Treppe, die Männer oder den ganzen Bezirk. Die Männer rauchen stoisch weiter. Da will Droßmann plötzlich auch rauchen, hat aber seine Zigaretten im Büro vergessen. Der Fahrer leiht ihm eine, seine Tiefgaragenschuld ist abgetragen.
Er ist ein Akribiker, Preuße im Herzen
Gewiss tut man Droßmann auch unrecht mit solchen Szenen, weil man bei der echten Arbeit, dem Aktenstudium im Amt, den Besprechungen mit all den Gremien, deren Namen man gar nicht wissen will, bei seinen 16-Stunden-Tagen nicht zugegen ist, von denen aber Mitarbeiter bezeugen, dass es selten weniger sind als ebendiese 16 Stunden. Bei allem Hansdampfigen ist Droßmann ein Akribiker, Preuße im Herzen. Deshalb erklärt er, mit den Vorwürfen aus der Bezirksversammlung konfrontiert: Das Image des Machers kenne er, stelle sich aber nie hin und kündige etwas an, was er nicht vorher mit allen Beteiligten besprochen habe. Und man sehe den Entscheidungen, die er verantworte, ja leider nie an, wie viel Vorarbeit eingeflossen sei von seinen Mitarbeitern. Und: Zur Versammlung noch mal, das wurmt ihn doch, da würde er sich viel mehr Initiative wünschen. “Wenn manche erst in der Sitzung den Brief aufreißen mit der Vorlage, die wir geschickt haben, und denken, einen komplexen Sachverhalt innerhalb weniger Sekunden erfassen und blöd finden zu können, sage ich: So nicht.” Und: Die Bild sitze halt im selben Haus, die könne er nicht ignorieren. Droßmann hat mal, das sagt er nicht, aber das ist bekannt, ein Praktikum in der Redaktion absolviert. Vermutlich hilft ihm auch das. Und am allermeisten hilft ihm Johannes Kahrs.
Kahrs, der Bundestagsabgeordnete, der unkaputtbare Strippenzieher, ist sein Mentor. Früh hat er Droßmanns Talent erkannt und befördert. Gegen Kahrs macht in Mitte niemand Karriere, mit ihm umso schneller. Kahrs war Trauzeuge von Droßmann, als der 2017 seinen Mann Denny heiratete; Droßmann war Trauzeuge von Kahrs. Immer wieder ist ihrer beider Mitte-SPD für Postengeschacher und Filz attackiert worden, am bollwerkhaften Kahrs aber prallte alles ab. Im Gespräch lässt der keinen Zweifel daran, dass Droßmann Großes vorhat. Oder er mit ihm.
Als im Mai in Hamburg die Bezirke wählen, ist aber plötzlich nicht klar, ob das Ergebnis am erfolgsgewohnten Droßmann abprallt. Nur 27 Prozent holt die SPD in Mitte und verliert die Mehrheit an die Grünen, die 29 Prozent erreichen. Droßmann liest die Hochrechnungen im Kleingarten mit, wie er später erzählt. Er stand nicht direkt zur Wahl und ist eigentlich noch zweieinhalb Jahre lang im Amt, jetzt wirkt er geschockt und zweifelt an sich. Was hat er falsch gemacht? Muss er mit den Grünen sondieren? Wollen die ihn überhaupt? Er sagt trotzig: “Wenn die mich abwählen wollen, sollen sie mich abwählen. Ich würde gern weitermachen. Aber ich kette nicht mein ganzes Wohlbefinden an die Bezirksamtsleitung.”
Bald darauf spalten sich die Grünen und verlieren dadurch ihre Mehrheit, Droßmann ist sicher, bis auf Weiteres. Aber er ist nun auch ein Getriebener. Er muss moderieren, damit es in der neuen Situation überhaupt noch zu wechselnden Mehrheiten kommt. Dafür braucht es jetzt mindestens drei Fraktionen.
Er könne jederzeit zur Bundeswehr zurück, sagt Droßmann, das sei eine echte Option. Aus seinem Büro sieht man das Rathaus, Droßmann hat es täglich im Blick. Er sitzt am Tisch, vor ihm Insignien seines Lebens. Ein Blauhelm, weil er als Soldat an mehreren internationalen Friedensmissionen teilgenommen hat. Ein Polizeihelm, Geschenk eines pensionsnahen Kommissars. Ein Kruzifix auf der Kommode, nicht söderhaft aufgehängt. Militärische Orden. Und dann ein Bild von Johannes Rau, seinem Vorbild. Rau, der sich als Landesvater Nordrhein-Westfalens vor die Kumpel stellte und gestand, es sei nicht gelungen, ihre Zechen zu retten. Das hat Droßmann beeindruckt, war seine politische Früherweckung. “Weil Rau Schneid hatte, sich nicht versteckt hat in schwierigen Zeiten.” Vielleicht erklärt sich daraus, wieso Droßmann, obwohl er im Amt bleiben darf, mit den neuen Verhältnissen hadert. “Ich weiß derzeit nicht, wie ich an politische Entscheidungen komme. Ich habe sieben Fraktionen in Mitte, und die wissen das auch nicht. Aber es kann ja nicht sein, dass keine Verwaltungskontrolle mehr stattfindet.” Er hält inne. “Derzeit muss ich Entscheidungen allein treffen, die ich lieber mit der Bezirksversammlung zusammen treffen würde.”
Letzte Frage an den Amtsleiter: Warum ist seine SPD in Mitte eigentlich abgestürzt? Falko Droßmann referiert ausführlich und sagt dann: “Ich bin für mich zu dem Schluss gekommen, dass es äußere Umstände waren, die eine entscheidende Rolle bei dieser Wahl gespielt haben.”
Falko Droßmann, das ist natürlich beruhigend, trifft keine Schuld an dem Ergebnis.
Quelle: Die Zeit Hamburg, 20.07.2019, hier.